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Kapitel 1: Blut und Beton

Mein erster bewusster Gedanke ist der Geschmack von Blut. Metallisch, warm, ein scharfer Streifen, der mir von der Lippe ins Kinnwinkel läuft. Ich schlucke und würge.
Dunkelheit.
Nicht die sanfte Dunkelheit eines Schlafzimmers, sondern eine undurchdringliche, schwere, fast schwarze Schwärze, die auf meiner Brust lastet. Ich atme ein. Die Luft ist stickig, staubig und riecht nach altem Öl, verrottendem Holz und Angst. Meiner Angst.
Ich versuche, mich zu bewegen, und ein stechender Schmerz schießt mir von der Schläfe durch den gesamten Schädel. Ein leises Stöhnen entweicht meinen Lippen. Es klingt fremd in der Stille.
Ich taste um mich. Kalter, nasser Beton unter meinen Fingern. Darüber etwas Weiches, Faseriges – Säcke? Ich stoße mit dem Ellbogen gegen etwas Hartes, Metallisches. Ein leises, schepperndes Geräusch hallt in dem engen Raum wider.
Wo zum Teufel bin ich?
Ich zwinge meine Augen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Langsam, qualvoll langsam, formen sich Umrisse. Ich liege in einer Ecke, zusammengekrümmt wie ein Tier. Über mir türmen sich Schatten zu hohen Regalen, beladen mit undefinierbaren Klumpen. Ein Lager. Eine Werkstatt? Ein Keller.
Ich taste nach meiner Schläfe. Meine Finger finden eine empfindliche, geschwollene Stelle, verkrustet mit getrocknetem Blut. Nicht geschnitten, sondern geschlagen. Erinnerungen wollen nicht kommen. Es ist, als wäre ich neu geboren, direkt in diesen Alptraum hinein.
Plötzlich.
Ein Geräusch.
Nicht von mir.
Es ist ein leises, schleifendes Geräusch, weit entfernt, aber unmissverständlich. Metall auf Beton. Ein Schritt. Dann noch einer. Langsam, bedächtig, unendlich bedrohlich.
Mein Herz setzt aus und setzt dann mit einem solchen Hämmer wieder ein, dass ich fürchte, der Schlag sei im ganzen Raum zu hören. Die Luft bleibt mir weg. Jeder Muskel in meinem Körper spannt sich an, verkrampft sich in urzeitlichem Instinkt: Fliehen oder Kämpfen. Doch ich bin gefangen. In dieser Dunkelheit. In diesem Versteck, das vielleicht meine Falle ist.
Die Schritte kommen näher. Sie sind schwer, als trüge jemand schwere Stiefel. Sie halten an. Ein leises Rascheln. Ein Seufzen? Das Geräusch von jemandem, der nachdenkt, der sucht.
Ich presse mich flacher gegen den kalten Boden, wünsche mir, ich könnte in ihm versinken. Mein Atem ist ein viel zu lauses, flatterndes Ding in meiner Brust. Ich beiße auf meine blutige Lippe, um keinen Laut von mir zu geben.
Er weiß, dass du hier bist. Er hat dich hierhergebracht.
Die Stimme in meinem Kopf ist klar und eiskalt. Sie ist der einzige klare Teil von mir.
Ein Lichtstrahl zerschneidet die Dunkelheit wie eine Klinge. Er tastet langsam über die Regale, wirft lange, tanzende Schatten, die wie Dämonen an den Wänden zucken. Staubkörner wirbeln in dem schmalen Kegel wie winzige, verzweifelte Wesen.
Der Strahl gleitet über den Boden, kommt näher. Er streift den Metallgegenstand, gegen den ich gestoßen bin – eine alte Bürodrehschere. Er verweilt einen Moment darauf.
Dann wandert er weiter. Zu mir.
Das gleißende Licht trifft meine Schuhe, kriecht meine Beine hinauf. Es blendet mich, und ich schließe die Augen, ein hilfloses Reh im Scheinwerferkegel. Es ist vorbei. Er hat mich gefunden.
Die Schritte setzen sich wieder in Bewegung, kommen direkt auf mich zu. Jetzt kann ich sein Atmen hören. Schwer, rhythmisch.
Ich öffne die Augen. Vor mir stehen nur die Stiefel, grobes Leder, covered in dunklen Flecken, die im Licht glänzen. Erde? Oder ist es…?
Ich blicke auf. Das Licht der Taschenlampe steht mir direkt ins Gesicht, aber ich erkenne die Umrisse einer großen, breiten Gestalt. Die Details sind im Dunkel hinter der Lampe verborgen. Nur eine Silhouette der puren Bedrohung.
Die Lampe senkt sich etwas, und eine Hand kommt ins Blickfeld. Groß, schmutzig, mit weißen Knöcheln, in der sie etwas hält. Ein Werkzeug? Eine Eisenstange?
Doch dann… lässt er es fallen. Es fällt klirrend zu Boden und rollt weg.
Die Stimme, die aus der Dunkelheit über mir kommt, ist ein geflüstertes, raues Krächzen. Sie ist schlimmer als jedes Geschrei.
"Du bist also wieder bei Bewusstsein."
Die Hand, die jetzt leer ist, streckt sich mir entgegen. Nicht, um zu schlagen. Nicht, um zu packen. Sie wartet einfach da, offen, eine perfide, unerklärliche Geste in diesem Moment des Grauens.
"Komm schon", krächzt die Stimme. "Steh auf. Das echte Warten hat gerade erst begonnen."
Und in diesem Moment weiß ich es. Das Schlagen, die Dunkelheit, die Gefangenschaft – das war nur der Anfang. Die Vorspeise. Die eigentliche Jagd, sie beginnt jetzt. Und ich, ich bin die Beute.
Dein Herz schlägt dir bis zum Hals. Deine Hände zittern. Dein Verstand rast und findet keinen Ausweg.
Was tust du?
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